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Schon bei Ovid beginnt die Dichtung mit einer Pflanze; ist es doch ein Lorbeerbaum, in den sich die vor Apoll flüchtende Daphne verwandelt und der somit in den "Metamorphosen" den Anfang aller künstlerischen Leistung markiert: Denn da Apoll die Geliebte in ihrer pflanzlichen Gestalt nun nicht mehr greifbar ist, wird ihm die Dichtung zum Surrogat des Lebendigen angesichts der unmöglichen Vereinigung von Pflanze und Mensch und der in der Folge an der Lyra getragene Lorbeerzweig zum Zeichen dieses verpassten Naturzugriffs. Bereits in einem der Gründungsmythen der Literatur wird somit ein Problemfeld im Verhältnis von Mensch und pflanzlicher Umwelt aufgerufen, das sich innerhalb der letzten zweitausend Jahre als erstaunlich stabil erwiesen hat. Im Gegensatz zu den Tieren, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Humanen innerhalb der vergangenen Jahrzehnte immer stärker in den Mittelpunkt gerückt sind, scheint das Andere, uns Fremde der Pflanzen so unauflösbar, dass sie in ihrer Eigengesetzlichkeit kaum jemals eine wirkliche Rolle spielen konnten. Bis kürzlich wurden Pflanzen so häufig als bloße Kulisse oder Ressource menschlichen Lebens wahrgenommen. Diese Marginalisierung ist jedoch vor dem Hintergrund von Klimawandel, Artensterben und einer wachsenden Skepsis gegenüber anthropozentrischen Weltmodellen verstärkt in die Kritik geraten, während zugleich die Forderung nach einer neuen Perspektive in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen und den Künsten Einzug gehalten hat. Bucherfolge wie Wohllebens "Das geheime Leben der Bäume"; oder Emanuele Coccias "Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen" sowie die seit einiger Zeit immer stärker an Einfluss gewinnenden "Literary Plant Studies" sind nur einige Beispiele einer neuen Sicht auf die vegetabile Welt. Im Seminar wollen wir dieser sich wandelnden Perspektive anhand von literarischen Texten/Gedichten (u. a. Goethe, Hölderlin, Rilke, Brecht, Jan Wagner, Oswald Egger), theoretischen Positionen und Beispielen aus der bildenden Kunst nachgehen.

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