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Kaum ein literarisches Genre ist innerhalb der letzten Jahre so häufig bedient worden und bei seinen Leser:innen derart beliebt gewesen wie der Dorfroman.* Waren es um 1900 vor allem Großstädte, die die Kulisse für das europäische Romanpersonal abgaben, zieht es rund hundert Jahre später die Protagonist:innen der Gegenwartsliteratur zunehmend aufs Land. Diese Konjunktur des Ruralen ist umso erstaunlicher, als realiter die meisten ländlichen Gebiete und Dörfer seit Jahren tiefgreifenden Krisen und Veränderungs- bis Auflösungsprozessen ausgesetzt sind.

Wohl auch aus diesem Grund verbindet die aktuelle Land-Literatur nur noch wenig mit der Gattungstradition der sich im 18. Jahrhundert entwickelnden und im 19. Jahrhundert zu ihrer Hochphase findenden Dorfgeschichte (z. B. Auerbach, Rosegger, Ebner-Eschenbach, Anzensgruber). Im Gegensatz zu einer Idealisierung des Ländlichen, das als utopischer Kontrast zum „Schreckbild Stadt” (F. Sengle) konstruiert wurde, und der Fiktion einer durch Naturbezug, Tradition und sittliche Harmonie geprägten dörflichen Ordnung (die nicht zuletzt den Weg zu einer völkischen Heimat- und der Blut-und-Boden-Dichtung ebnete), entwirft die Gegenwartsliteratur keine romantisierenden Heimatidyllen mehr: Der Traum vom einfachen und guten Leben auf dem Land ist hier längst ausgeträumt und das Dorf statt dessen zum Spiegel von Welt(-geschichte) geworden.

So verhandelt die neue 'Provinz-Literatur' nicht selten die bestimmenden Diskurse unserer Gegenwart wie u.a.: Identitätskonstruktionen und Herkunft, Heimatkonzeptionen und Globalisierung, Ökologie und Nachhaltigkeit, Migrations- und Kriegserfahrung, Pandemie und gesellschaftliche Spaltungsprozesse. Im Seminar werden wir ausgesuchte Texte im Kontext dieser Themenfelder diskutieren und die anhaltende Konjunktur des Ländlichen innerhalb der Gegenwartskunst genauer verorten.

Wie lesen u.a.: Sasa Stanisic – Vor dem Fest (2014), Dörte Hansen – Mittagsstunde (2018), Norbert Scheuer – Winterbienen (2019).


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