BVM 2c Literaturtheorien: Raumtheorien
Raum ist in literarischen Texten nicht nur der Ort der Handlung, sondern auch kultureller Bedeutungsträger. Die Art und Weise wie ein Raum literarisch dargestellt ist, welche Figuren, welchen Räumen zugeordnet werden und mit welchen Bedeutungen die dargestellten Räumlichkeiten aufgeladen sind, verrät viel über die fiktionale Wirklichkeitsdarstellung des jeweiligen Textes.
Ziel des Seminars ist, verschiedene Theorien und Konzepte zur Analyse literarischer Räume (Lotman, Foucault, Augé) kennenzulernen und diese anhand ausgewählter Texte von Autor_innen unterschiedlicher Epochen gemeinsam zu erproben. Hinsichtlich der Primärtextauswahl wird ein Schwerpunkt auf Texten um 1900 (Schnitzler, Storm, Raabe) liegen. Im letzten Drittel des Semesters sollen auch Gegenwartstexte besprochen werden über deren konkrete Auswahl die Seminarteilnehmer_innen nach der ersten Sitzung abstimmen können.
BVM 2c Poetologien des Wissens
Seit Erscheinen des von Joseph Vogl herausgegebenen Sammelbandes Poetologien des Wissens um 1800 im Jahr 1998 sind unzählige literaturwissenschaftliche Arbeiten zur komplexen Frage erschienen, wie und unter welchen poetologischen, epistemologischen und gesellschaftlichen Bedingungen (natur-)wissenschaftliche Hypothesen und Erkenntnisse in literarische Texte Eingang finden. Inwiefern ist die Handlungskonstellation von Goethes Wahlverwandtschaften durch die zeitgenössische Chemie präfiguriert? Welche Rolle spielt das Fragment in der panoptischen Verwaltung von Wissen bei Novalis? Welches physiologische Wissen setzt Frankensteins Monster in Gang? Wie bringt Stifter die Atmosphäre in einer Heißluftballonfahrt literarisch zur Darstellung? Welches Verhältnis weist Ökonomie als Vorgabe der Rhetorik (brevitas) zur Ökonomik auf? In diesem Seminar werden wir uns anhand ausgewählter Texte von Diderot, Goethe, Novalis, Mary Shelly, Annette von Droste-Hülshoff und Adalbert Stifter sowie der wissenspoetologisch interessierten Sekundärliteratur zu diesen Texten die Frage stellen, wie wir als Literaturwissenschaftler*innen mit dem Problem umgehen, dass in literarischen Texten unserem Fach fremdes Wissen verarbeitet wird. |
BEM 2b/BBM 2b Einführungsseminar Gattung
In diesem Seminar wird eingeführt in die Analyse literarischer Texte auf der Grundlage sowohl der poetologischen Voraussetzungen ihrer Epoche als auch zeitgenössischer Methoden der Textanalyse. Dafür wird der grobe Zeitraum zwischen 1750 und 1850 in den Blick genommen, also die Zeit des Übergangs von der Aufklärung über den Sturm und Drang zur Romantik. Während dieser Zeit unterliegen die durch Rhetoriken und Poetiken vermittelten Regeln und Verfahren zur Schöpfung eines guten bzw. schönen literarischen Kunstwerks einem grundlegenden Wandel. Diese Umbruchszeit ist die Wiege der modernen Literatur. |
BVM 2c „Ich habe immer versucht, mich an die Regeln zu halten." Christian Kracht literaturtheoretisch
Insbesondere mit seinem vielschichtigen Romanwerk prägt der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht seit dem Erscheinen seines Debüts "Faserland" die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. In der öffentlichen Wahrnehmung werden seine Texte kontrovers diskutiert; er gehört zu den Kultautoren seiner Generation. Der Literaturwissenschaftler Christoph Kleinschmidt hat als 'Kracht-Effekt' ein erzählerisches Verfahren bezeichnet, das verstörend, ironisch und unaufgeregt Gegensätzliches zusammenführt, Möglichkeitsräume eröffnet und zugleich infrage stellt. Durch dieses Schwanken zwischen Faktizität und Fiktionalität, nüchternem Scharfsinn und rauschhafter Vagheit entziehen sich seine Texte einer eindeutigen Stellungnahme. Für seine provokativen Themenkomplexe wählt Kracht ambivalente Erzählstrategien; hierzu gehört nicht zuletzt auch seine quasi-figurale Selbstinszenierung bei öffentlichen Auftritten. Im Seminar wollen wir Krachts Romane anhand literatur- und kulturwissenschaftlicher Theorien untersuchen. Aufbauend auf Inhalten der Vorlesung "BVM 2a/BBM 2c: Literaturtheorien" werden wir ausgewählte theoretische Konzepte exemplarisch erproben und jeweils auf Potenzial, Grenzen und Praktikabilität hin kritisch diskutieren. |
Literatur |
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Wir lesen Krachts gesamtes bislang vorgelegtes Romanwerk:
1. Faserland (Köln 1995)
2. 1979 (Köln 2001)
3. Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (Köln 2008)
4. Imperium (Köln 2012)
5. Die Toten (Köln 2016)
6. Eurotrash (Köln 2021)
Die Texte sind in jeder gut sortierten Buchhandlung sowie
antiquarisch für wenig Geld verfügbar. Eine Anschaffung wird dringend
empfohlen, selbstverständlich können Sie auch auf e-Books oder andere
digitale Fassungen sowie auf das Leihangebot der ULB zurückgreifen.
Zur vorbereitenden Lektüre:
Conter, Claude D.: Christian Krachts posthistorische Ästhetik. In: Ders., Johannes Birgfeld (Hg.): Christian Kracht. Zu Leben und Werk. Köln 2009, S. 24-43. Jahraus, Oliver: Ästhetischer Fundamentalismus. Christian Krachts radikale Erzählexperimente. In: Johannes Birgfeld, Claude D. Conter (Hg.): Christian Kracht. Zu Leben und Werk. Köln 2009, S. 13-23. Rohde, Carsten: Empire revisited: Christan Krachts Poetik der Fremdheit. In: Georg-Forster-Studien 20 (2015), S. 291-306. |
Voraussetzungen |
Voraussetzung für einen Schein (BN) ist neben der aktiven Teilnahme am Seminargeschehen die Beteiligung an einer Expertengruppe und die damit verbundene Präsentation eines Posters. Als Modulabschlussprüfung (AP) fertigen Sie zusätzlich eine Hausarbeit an. |
- 教官: Florian Trabert
BEM 2c: Österreichische Gegenwartsliteratur: Setz, Edelbauer, Sargnagel
Die Neigung zu Sprachkritik und Sprachexperiment, die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Österreichs und dem affirmativen Heimatbegriff, der die Identitätsdiskurse des ›Alpenstaats‹ nach wie vor stark prägt, sowie die oftmals psychoanalytisch inspirierte Auseinandersetzung mit menschlichen Extremsituationen lassen sich als wiederkehrende Themenfelder und Merkmale der österreichischen Literatur der letzten Jahrzehnte benennen. An diesen partizipieren auch die Texte der jüngsten Generation der nach 1980 geborenen österreichischen Autor*innen, die in den letzten Jahren aus dem Schatten der dominierenden österreichischen Schriftsteller*innen des späten 20. Jahrhunderts – Bachmann, Handke, Bernhard, Jelinek – hervorgetreten ist. Im Mittelpunkt der Seminararbeit sollen die grotesk-surrealistischen Erzählungen aus den beiden Bänden Die Liebe zu Zeiten des Mahlstädter Kindes (2011) und Der Trost Runder Dinge (2019) von Clemens J. Setz stehen, der spätestens seit der Verleihung des Büchner-Preises 2021 zu den renommiertesten Autor*innen seiner Generation zählt. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die österreichischen Gegenwartsautorinnen, wobei wir uns insbesondere mit Raffaela Edelbauers Anti-Heimatroman Das flüssige Land (2019) sowie Stefanie Sargnagel und den Autorinnen aus dem Umfeld der feministischen ›Burschenschaft‹ Hysteria beschäftigen werden.
Geschichtslyrik von der Romantik bis zur Nachkriegszeit
Anders als der historische Roman und das Geschichtsdrama führte die Geschichtslyrik in der Germanistik lange Zeit ein Nischendasein. Erst mit dem 1979 von Walter Hinck herausgegebenen Band Geschichte im Gedicht bildete sich ein stetig wachsendes Interesse an dieser Gattung aus. Ein Grund ihrer vorherigen Marginalisierung wird in dem bis ins 20. Jahrhundert in der Forschung vertretenen Verständnis von Lyrik als Ausdruck von Subjektivität gesehen.
Vor dem Hintergrund der Gattungsgeschichte der Lyrik nimmt das Seminar die Geschichtslyrik von der Romantik bis zur Nachkriegszeit in den Blick. Anhand ausgewählter Gedichte unter anderem von Annette von Droste-Hülshoff, Heinrich Heine, Conrad Ferdinand Meyer, Bertolt Brecht, Gertrud Kolmar und Johannes R. Becher werden die verschiedenen Formen, Verfahren und Funktionspotenziale der Geschichtslyrik untersucht und die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten der Lyrik herausgestellt, Geschichte zu ‚erzählen‘, zu reflektieren und so zum Erinnerungsdiskurs beizutragen.
Zur Einführung empfohlen: Peer Trilcke: Geschichtslyrik. In: Dieter Lamping (Hg.): Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte. 2., erw. Auflage. Stuttgart 2016, S. 159–164.
Das Spiel mit der Maske. Die Figur des Verräters von Klopstock bis Schleime
Im Rechtswesen des 18. Jahrhunderts galt als „Verräther“, so Zedlers Universallexikon, wer „seine anbefohlne Sachen verwahrloset“ – und zwar mit Kalkül. Der Verräter setzt auf falschen Schein, auf Heuchelei, Verstellung und Verkleidung, die ‚Mummerey‘. Vielfach tritt der Verräter oder „Mummer“ als Spieler auf, der sich seiner verschiedenen Masken nach allen Regeln der Kunst zu bedienen weiß, wenn er im Dienst der (eigenen) Sache politischen, religiösen oder Liebesverrat begeht, als Spion oder Spitzel agiert. Ihm gegenüber steht der Verratene, der durch den Treuebruch zum Opfer und nicht selten einem dritten ausgeliefert wird. Aus Leidenschaft und Rache, aus Ehrgeiz und Machtgier wird verletzt, verleumdet und verkauft, doch nur selten ist der Verräter eine simple Verkörperung des Bösen. Seine Motive sind vielfältig.
In seiner Komplexität ist der Verräter ein für die Literatur attraktives Sujet, dessen Geschichte mindestens bis in die Antike zurückverfolgt werden kann. Coriolan, Judas oder Hagen – sie stehen lediglich zu Beginn einer bis in die Gegenwart reichenden Reihe von Verrätern, die (auch) literarisch in Erscheinung traten. Mit Hilfe der narratologischen Figurenanalyse zeichnet das Seminar verschiedene Typen des Verräters wie auch die historische Entwicklung des Motivs von der Aufklärung bis in die Gegenwart nach. Die Kontinuitäten und Verschiebungen in seiner literarischen Darstellung werden anhand von Texten von Klopstock, Schiller, E.T.A. Hoffmann, C.F. Meyer, Doderer, Cornelia Schleime u.a. herausgearbeitet. Inwiefern vor diesem Hintergrund ein kulturgeschichtlicher Wandel in der Rezeption von Verrat und Verräter konstatiert werden kann, wird zu diskutieren sein.
Zur Einführung empfohlen:
[Art.] Verräter. In: Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 6., überarb. u. erg. Aufl. Stuttgart 2008, S. 775–788.
[Kap.] 3.2 Fiktive Erzählwelten und ihre Bewohner. In: Tilmann Köppe/Tom Kindt: Erzähltheorie. Eine Einführung. Stuttgart 2014, S. 115–160.
- 教官: Sofie Fritz
- 教官: Christian Heinrichs
- 教官: Gian Marco Hölk
- 教官: Sonja Klein
- 教官: Nike Nohlen
Nocthene Schreibwerkstatt / SoSe 24
Die Schreibwerkstatt Nocthene ist eine literarische Plattform an der Heinrich Heine Universität, die vor zwölf Jahren von Studierenden und Dozierenden gemeinsam gegründet wurde. Seitdem treffen wir uns in jedem Semester mit Menschen, die sich nicht nur mit der bereits bestehenden Literatur beschäftigen, sondern auch selbst literarische Texte verfassen wollen. In den einzelnen Sitzungen diskutieren wir die von den TeilnehmerIinnen (zu wechselnd freien oder allen gestellten Oberthemen) geschriebenen Texte, experimentieren mit verschiedenen Textkomponenten (z. B. dem literarischen Dialog), Gattungen, Formen oder Schreibstilen.
Bedingungen für die Teilnahme an der Schreibwerkstatt sind:
- das Interesse am und die Bereitschaft zum Schreiben eigener Texte
- regelmäßige und aktive Teilnahme an den im 14-tägigen Rhythmus abgehaltenen Sitzungen (alle Termine werden in der ersten Sitzung am 23.04.2024 bekannt gegeben).
- 教官: Sonja Klein
MFM 2a/b: "Je suis autre" - Identität und Gegenwartsliteratur
„Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt.” (Goethe – Die Leiden des jungen Werthers)
„All he’d ever wanted, from earliest childhood on, was to be free: not black, not even white – just on his own and free.” (Roth – The Human Stain)
„Identitätskämpfe sind Kämpfe um Fiktionen in der Wirklichkeit.” (Sanyal – Identitti)
Kaum ein Konzept scheint für unsere Gegenwart so wichtig zu sein wie das der ‚Identität‘. Ob personale oder soziale/kollektive Identität – Fragen von Zugehörigkeit, Selbstverortung und Fremdzuordnung, die kritische Diskussion um Inklusion und Exklusion und die aus ihnen erwachsenden Machtstrukturen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Während Identitätskonzepte bis zum Anbruch der Moderne fast ausschließlich von außen bestimmt und fixiert waren, werden diese ab dem 18. Jahrhundert stetig offener, wandelbarer und ‚hybrider‘. Goethes Werther ist die erste Figur der Weltliteratur, die diese neue Gestaltungsfreiheit des Ichs in all ihrer Radikalität entdeckt. Seine literarischen Nachfolger:innen sind zahlreich. Sie zeigen, dass die Kunst – und vor allem die Literatur – offenbar derjenige Ort ist, an dem Identitätskonzepte nicht nur erprobt und diskutiert, sondern gar erst erschaffen werden können. Im Seminar werden wir fiktionalen Identitätsentwürfen der Gegenwartsliteratur nachgehen und in diesem Kontext u. a. über Fragen und Problematiken geschlechtlicher, kultureller, ethnischer und nationaler Zuordnungen nachdenken. Zudem werden wir uns den vieldiskutierten Film „American Fiction” (Cord Jefferson, 2023) ansehen, der auf dem Roman „Erasure” von Percival Everett basiert.
Wir lesen:
Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (1774)
Sasa Stanisic: Herkunft (2019)
Mithu Sanyal: Identitti (2021)
Kim de l’Horizon: Blutbuch (2022)
sowie Ausschnitte aus u. a.:
Phlipp Roth: The Human Stain (Der menschliche Makel; 2000); Percival Everett: Erasure (2001), Emine Sevgi Özdamar: Ein von Schatten begrenzter Raum (2021); Mohsin Hamid: The Last White Man (Der letzte weiße Mann; 2022)